Wanderer zwischen zwei Welten

Als ich im September 1989 aus dem Kreis Senftenberg zum Geburtstag meiner 82jährigen Tante in den Westen Berlins reisen durfte, kam es bei Christa Hauschild in Wannsee zu einem Mini-Klassentreffen: Wir waren an jenem Nachmittag nur vier aus unserer ehemaligen Klasse; eine Klassenkameradin war aus Brüssel gekommen, ein Kuchen aus München, ein Anruf aus Münster. Kontakte waren also vorhanden. Ich hatte (damals noch nicht "Ossi" genannt) das Treffen angeregt; gegen Abend reifte der Plan, 1991 ein richtiges Klassentreffen zu arrangieren, zum Gedenken an das vor 40 Jahren bestandene Abitur. Während die anderen sich freuten, kamen mir fast die Tränen, ich würde ja kein Visum erhalten. Ich schlug vor, daß ich dann Urlaub nehme, mich in Ost-Berlin einquartiere und wir dort am Tag nach dem Jubiläum (das auf einen Samstag fiel) weiterfeiern. Sieben Wochen später war das Problem "Grenze" gelöst... Und so sahen wir uns 1991 in großem Kreis mit unserem einstigen Klassenlehrer Herrn Krützfeld, der aus Hamburg gekommen war, in Wannsee wieder.Fast zwei Jahre bin ich mit den anderen zusammen in der Malwida-von-Meysenbug-Schule gewesen, als tägliche Pendlerin von Potsdam aus. Im Herbst 1949 hatte ich mich in Nikolassee beworben. Niemand würde mich da mit der Forderung quälen, endlich in die FDJ einzutreten, ich müßte kein Russisch lernen, ich könnte an humanistischer Bildung teilhaben. Frau Schwenzner kannte mich noch vom Ende der Kriegszeit, als sie noch bei uns Lehrerin am Potsdamer Lyzeum war. Sie bemühte sich, noch zwei Stühle zu organisieren, um mich und eine weitere Potsdamer Schülerin in die 11. Klasse aufnehmen zu können. Täglich fuhren wir ungehindert nach Nikolassee, machten von dort am Wandertag einen Ausflug in den Babelsberger Park, also in die "Zone".Verständisschwierigkeiten zwischen "Ossis" und "Wessis" gab es damals noch nicht; wir hatten den Krieg gemeinsam verloren, waren in Ost und West um den Aufbau bemüht, wir sprachen noch dieselbe Sprache, hatten die gleichen Gedanken. Wir lebten miteinander, wenn auch in spürbar unterschiedlichen Wirtschaftsformen: die herrliche Buttermilch, die ich bei meiner Banknachbarin Eva Krumm in Charlottenburg zu trinken bekam! Auf dem Weg nach Hause wurde in Wannsee Sanella für die Familie gekauft, man nahm auch mal gern eine Banane an. Überfluß gab es auch im Westteil der Stadt noch nicht, man war zufrieden mit dem, was man hatte, und mußte nicht alles haben, was andere hatten oder sich leisten konnten.Nachdem West-Abitur blieb ich in der DDR, wo ich Theologie studierte, wurde Pastorin und erst am 3. Oktober 1990 - endlich - Bundesbürgern.Ingrid Bachmann (Abi 1951)