„Die junge Generation muss vom Holocaust lernen“

 

Der Israeli Tswi Herschel (78) überlebte als Kind versteckt bei einer christlichen Familie in den Niederlanden die Shoa. Am 27. August 2021 fand mit ihm, seiner Tochter und seiner Enkelin ein Zeitzeugengespräch in der Bibliothek des Werner-von-Siemens Gymnasiums statt, bei dem die Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 11 und 12 teilnahmen.


Kurzbiografie 

Tswi Herschel wurde am 29. Dezember 1942 in Zwolle, einer kleinen Stadt in den von den Nazis besetzten Niederlanden, geboren. Im Januar 1943 musste die Familie Zwolle verlassen und zog nach Amsterdam in Ghetto, wo Twis Vater seinen nichtjüdischen Arbeitgeber kontaktierte und diese um Hilfe für seinen neugeborenen Sohn bat. Frau Schwenke und ihre 17jährige Tochter Christine schmuggeln Twis aus dem Ghetto. Im März 1943 nahm die protestantische holländische Familie De Jongh das Baby Tswi bei sich auf. Tswi lebte bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs bei seiner Pflegefamilie. Tswis Eltern wurden im Juni 1943 in das Durchgangslager Westerbork in den Niederlanden verschleppt. Einen Monat später deportierte man sie in das Vernichtungslager Sobibór, wo sie kurz nach ihrer Ankunft ermordet wurden. Tswis Großmutter, die einzige noch lebende Verwandte, nahm ihn nach dem Krieg zu sich, um ihn in einem jüdischen Umfeld zu erziehen. Tswi wuchs auf, heiratete und bekam zwei Töchter. 1986  wanderten Tswi und seine Familie nach Israel aus. Seit 1991 erzählt Tswi Herschel Jugendlichen und Erwachsenen in Israel und Europa seine Geschichte. Im März 2015 wurden vor Twis Herschels Geburtshaus in Zwolle Stolpersteine für die von den Nazis ermordete Familie verlegt.2019 überreichte der Bundespräsident Twis Herschel das Verdienstkreuz am Bande.
Twis Herschel lebt mit seine Familie in Israel am See Genezareth.

Die Geschichte von This Herschel gibt es auch als Film.


Ganz still ist es in der Bibliothek. Alle hören gebannt Twis Herschel zu, als er seine unglaubliche Lebensgeschichte erzählt. 78 Jahre ist er alt und hat als Baby den Holocaust überlebt, weil nicht-jüdische Familien ein hohes Risiko eingegangen sind, um ihn zu retten. Mit ruhiger Stimmer erzählt er von seinen Erinnerungen und dem, was er über sein Leben und das Leben seiner Eltern im Laufe vieler Jahre in Erfahrung gebracht hat. Ohne Scheu schildert er eindrücklich seine Emotionen und wirkt dadurch enorm authentisch und beeindruckend.

Twis Herschel baut seinen Vortrag für die Schülerinnen und Schüler anhand einer Zeichnung seines Vaters auf. Dieser hat in 24 Bildern nach der Geburt von Twis seine Vision für die Zukunft aufgemalt – einen Lebenskalender voller positiver Ausblicke mitten in der Zeit der Judenverfolgung durch die Nazis. Bild für Bild zeigt Twis Herschel, was sein Vater sich für ihn erträumt hat – und das fast alle Visionen für die Zukunft Realität geworden sind. So bringt er immer wieder Hoffnung und Licht in die schwer zu ertragende Schilderung seiner Kindheitsgeschichte. Das Original dieses Lebenskalender befindet sich im Capital Jewish Museum in Washington.  

Seine Enkelin Jessica, geboren 2004 in Isreal, spricht in Englisch zu den Schülerinnen und Schülern: „Antisemitism is still alive – we have to learn to live in harmony.“ 

Und diese Aussage unterstreicht Twis Herschel in großer Deutlichkeit. Die junge Generation müsse vom Holocaust lernen. Der Populismus von damals sei heute wieder salonfähig in Deutschland. Ziel seiner Vorträge sei es, Diskriminierung und die Folgen deutlich zu beleuchten. Seinem jungen Publikum legt er eindrücklich ans Herz, kritisch zu sein, sich selbst ein Urteil zu bilden, nicht auf Demagogen zu hören und Platz zu lassen für Andersdenkende.

Den sehr berührenden Vortrag und die intensive Fragerunde schliesst Twis Herschel mit einem Appell: „Ich stehe heute hier mit offenen Händen um Brücken zu bauen – mit Toleranz. Jetzt ist der Moment, nicht mehr zu diskriminieren. Auf dich kommt es an.“