Non scholae, sed vitae discimus

Schwerpunkte meines Studiums waren Sport, Musik und Mathematik. Erinnerungen aus meiner "Meysenbug"-Schulzeit (1959-1966) haben teilweise mein pädagogisches Wirken in diesen Unterrichtsfächern geprägt. - Glaube bitte niemand, ich sei gerne zur Schule gegangen, ich war eine normale Durchschnittsschülerin, die nie einsehen wollte, was jener Satz behauptet: "Nicht für die Schule lernen wir, sondern für‘s Leben!"Für viele junge Lehrer, besonders der Realschulen und Gymnasien, steht der Unterrichtsstoff an oberster Stelle; Veranstaltungen, die den üblichen Rahmen sprengen (Sportwettkämpfe, Projektwochen, Schülertheater) wirken störend und erwecken die Sorge, daß Schülerinnen und Schüler nicht den notwendigen Lehrstoff vermittelt bekommen, daß Lehrer den Lehrplan nicht mehr erfüllen können.Aber gerade die von mir erwähnten Veranstaltungen sind in meinen Erinnerungen geblieben und Motor meiner pädagogischen Handlungsweisen geworden: sie forderten uns Schüler nicht nur in unserer fachlichen Leistung, sondern - viel wichtiger - in unserer Selbständigkeit, unserm Organisationstalent, gaben uns vielfach Gelegenheit, unsere Phantasie zu entwickeln; wir lernten, selbständig Entscheidungen zu treffen, aber auch Verständnis für Andersdenkende und Andersgläubige zu entwikkeln. Ist das heutzutage in unserer Gesellschaft nicht mehr so gefragt?Die vielen Sport-, Chor-, Theateraktivitäten meiner Meysenbug-Zeit, denen ich diese Erinnerungen verdanke, brauche ich im einzelnen nicht zu erwähnen, sie werden an anderer Stelle dieses Buches gewürdigt, aber ich möchte noch weiteres nennen, was zum Thema meines Beitrags gehört. Sport im 7./8. Schuljahr hieß damals, mit etwa 30 Kindern in einem ca. 60 qm großen Raum Bewegungsabläufe zu erlernen, zu üben, zu festigen. Mittelpunkt des Unterrichts von Frau Senger war das Klavier. Nie wieder hat mir Gymnastik so viel Spaß gemacht! Kein Tonband, keine Schallplatte kann Frau Sengers persönliches Engagement am Klavier ersetzen. Im Sportstudium fiel meine rhythmische und tänzerische Darstellungsfähigkeit auf, dabei bin ich Leichtathletin und Spielerin. Frau Sengers Rheinländer - den ich heute noch auswendig singen kann! -, ihre Ball- und Keulengymnastik hatten dazu viel beigetragen.Meine Bewertungskriterien als Mathematiklehrerin verdanke ich einem Erlebnis, das ich als Schülerin wegen einer Klassenarbeit hatte. Ich hatte Angst vor der Rückgabe der Arbeit, denn ich wußte, daß ich mich verrechnet hatte. Als Frau Schwenzner unsere Ergebnisse bekannt gab, konnte ich meine Note zunächst nicht begreifen. Nachdem ich mein Heft aufgeschlagen hatte, begriff ich die Bewertungskriterien. Frau Schwenzner hatte jede Aufgabe Schritt für Schritt durchgesehen und jeden richtigen 5chritt gewertet! - Die Mathematiklehrer meiner eigenen Kinder geben bei ähnlichen Situationen 0 Punkte; sie sehen bei der Korrektur nur auf das Endergebnis.Im Geschichts- und Gemeinschaftskundeunterricht diskutierten wir die politischen Geschehnisse; in unserer Klasse hatte ich bis zum Schluß nie das Gefühl, daß wir Mädchen uns gegenüber den Jungen emanzipieren müßten. Herr Lucke, der auch unser Klassenlehrer war, hatte uns dazu gebracht, Position zu beziehen, z.B. meine Freundin und mich (meine Freundin schwärmte für die Politik Konrad Adenauers, ich war Anhängern von Kurt Schumacher und Willy Brandt). Dergleichen war man in der ländlichen Gegend, in der ich 1969 Lehrerin wurde, nicht gewöhnt; noch bestimmte der Mann, wohin die Frau bei der Wahl das Kreuz zu setzen hatte. Das ärgerte mich, ich wurde kommunalpolitisch tätig und war dann viele Jahre einzige Frau im Stadtrat bzw. Kreistag: der Umgangston in den politischen Auseinandersetzungen wurde allmählich höflicher. - Seit zwei Jahren bin ich nun vom Schuldienst befreit und kann mein Landtagsmandat wahrnehmen. Ich bin froh, daß ich als Schülerin bei unseren Schulveranstaltungen gelernt habe, selbstbewußt aufzutreten, frei zu reden, zu schauspielern und vor allem mit Lampenfieber fertigzuwerden.Marion Lau geb. Kovacs (Abi 66)