Brief an Frau Senf

Eine Mischung aus eiserner Disziplin und geistreichem Scherz, aus angemessener Strenge und ehrlichem Mitgefühl, aus sprühender Intelligenz und erklärender Einfachheit - so waren Sie stets für mich.Sie beherrschten Ihr Unterrichtskonzept wie kaum ein anderer und waren jeder Unterbrechung gewachsen. Sie beherzigten Horaz, der sagte: "Ein Scherz, ein lachend Wort, entscheidet oft die größten Sachen treffender und besser als Ernst und Schärfe."Ihr Sinn für die Mathematik regte meine Liebe für das Spiel mit den Zahlen an. Sie wußten so oft, noch so trockene Logik durch eine Anekdote zu erfrischen. Jede Minute Ihrer Unterrichtszeit war durchdacht, keine Übung zu viel, keine Erklärung zu umschweifend, keine Frage nichtig.Und der Mensch "Frau Senf"?Eine würdige Ausstrahlung mit einem immer offenen Ohr für private Sorgen. Sie wirkten wie eine niemals müde werdende Fachkraft, die reichhaltige Erfahrungen weitergeben konnte - mußte man die versteckte Liebe zu ihren Schülern doch erst erkunden.Nie haben Sie jemandem den Vorzug gegeben, nie fühlte man sich ungerecht behandelt. Den schmalen Grat zwischen Menschlichkeit und nötigem Respekt wußten Sie stets meisterhaft zu bewandern.Man trat mit der Bitte an mich heran, einen Eindruck meiner Schulzeit zu Papier zu bringen, der Beitrag zum 25. Jubiläum des Werner-von-Siemens-Gymnasiums werden soll.Sie haben mich 5 Jahre mit Ihrer beispielhaften Persönlichkeit begleitet, die ich in mein Herz aufsog, um sie als ewiges Vorbild in mir zu behalten.Es fällt schwer, all die Zuneigung für Sie und die Erfahrungen mit Ihnen in Worte zu fassen, und so möchte ich mein Schreiben abrunden mit Zeilen, deren Bedeutung ich erst durch Sie begriffen habe:"Das kann ich nicht!"Vieles kann man,Will's die Pflicht,alles kann man,will‘s die Liebe,darum dich im Schwersten übe;Schwerstes fordert Lieb‘ und Pflicht,sage nie "Das kann ich nicht!"Marion Fischer (Abi 88)